Ja, vielen Dank für die freundliche Einführung, meine Damen und Herren.
Es wurde darauf hingewiesen, dass in diesen verfassungsgeschichtlichen Rückblicken das
Grundgesetz und die Bamberger Verfassung drankommen, die Weimarer Reichsverfassung, deren 100.
Geburtstag wir in diesem Jahr feiern nicht. Ich darf Sie insofern einladen zur Ringvorlesung
des Fachbereichs Rechtswissenschaft, der in den kommenden sieben Dienstagen jeweils die
Weimarer Verfassung leuchten wird. Also herzliche Einladung dazu jeweils dienstags 18 bis 20 Uhr
im Juridikum in der Schiller Straße 1. Nun aber zu meiner Laudatio auf das Grundgesetz an seinem
70. Geburtstag. Mit Ablauf des 23. Mai 1949, dem Tag seiner Verkündung, also genau vor 70 Jahren,
ist das Grundgesetz in Kraft getreten, so wie es Artikel 145 eben des Grundgesetzes bestimmt.
Dabei können wir es getrost dem manchmal müßigen Streit der Juristen überlassen, ob der 23. Mai
24 Uhr oder der 24. Mai 0 Uhr der genaue Zeitpunkt des in Kraft tretens war. Seither hat das
Grundgesetz nicht nur unsere politische und rechtliche Ordnung geprägt, sondern das Grundgesetz ist im
allgemeinen Bewusstsein zur nahezu unumstrittenen Grundlage eines gemeinsamen Wertekanons geworden.
Zwei Fundstücke aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von heute illustrieren das. Berthold
Kohler schreibt in seinem Kommentar auf Seite 1 und ich zitiere, im Grundgesetz steht geschrieben,
wer wir sind, woher wir kommen und woran wir glauben. Ende des Zitats. Als Kirchenrechtler
muss ich leise Zweifel an dieser Aussage äußern, aber sie zeigt, wie verwurzelt jedenfalls die
der Kommentator der FAZ, die das Grundgesetz in unserer Gesellschaft sieht. Und die Beilage
70 Jahre Grundgesetz zeigt diese schöne Karikatur von Gräser und Lenz. Ich weiß nicht, ob sie es
erkennen können. Wir sehen hier Mose mit den beiden Gesetzestafeln der Zehn Gebote den Berg
Sinai hinabsteigen. Aus den Wolken reicht die Hand Gottes. Ein Buch betitelt mit Grundgesetz und
dazu die Worte Moment Moses, nimm das noch für die Deutschen mit. Das Grundgesetz ist schon früh zur
solch unumstrittenen Grundlage des Gemeinwesens geworden, dass man davon gesprochen hat, dass die
Verfassung das Vater- oder Mutterland als Gegenstand des gemeinsamen Bewusstseins verdrängt hat. Das
ist jedenfalls der Kern des Begriffs des Verfassungspatriotismus, den der Politikwissenschaftler
Dolph Sternberger schon in den 1970er Jahren geprägt hat. Der amerikanische Verfassungsrechtler Donald
Kommers hat darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz zu einem Referenzmodell für Verfassungen,
also Verfassungen anderer Straßstaaten geworden sei. Es gibt also genügend Anlass, dass wir das
Grundgesetz an seinem 70. Jahrestag würdigen. Wenn man auf den einschlägigen Internetseiten
danach sucht, wie eine Lobrede, eine Laudatio zu konzipieren und aufzubauen sei, findet man den
Hinweis auf drei obligatorische Gliederungspunkte. Zunächst soll man davon sprechen, wie der zu
Befeiernde zu dem geworden ist, was er ist. So dann soll man markante Stationen bzw. Etappen
herausarbeiten, die dazu geführt haben, dass die Lobrede gehalten wird und schließlich soll man
davon sprechen, was das Besondere an dem Gehehrten ist. Ich werde also dieser Anleitung folgen.
Zunächst einen kurzen Rückblick auf die Entstehungszeit des Grundgesetzes werfen,
dann markante Etappen seiner Entwicklung darstellen und mich vor allem auf den letzten
Punkt konzentrieren, nämlich die besonderen Merkmale des Grundgesetzes bzw. das, was an
ihm hervorzuheben ist. Vor 70 Jahren also das Inkrafttreten des Grundgesetzes. Das Grundgesetz
verdankt seine Entstehung und seinen Inhalt bekanntermaßen der politischen und moralischen
Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Das sich in den Jahren
danach zeigende Bedürfnis nach einer neuen deutschen Staatlichkeit sollte mit einer Verfassung
verwirklicht werden, die einen deutlichen Neuanfang markieren sollte. Dabei waren die Interessen der
handelnden deutschen Politiker einerseits und der alliierten westlichen Besatzungsmächte
andererseits durchaus unterschiedlich. Es gab Auseinandersetzungen unter anderem darüber,
welche Folgerungen aus der fortschreitenden deutschen Teilung zu ziehen waren und über den
damit zusammenhängenden Provisoriumscharakter des Grundgesetzes. Wegen des Ziels eines
gesamtdeutschen Staates wollte man für den entstehenden westdeutschen Teilstaat eben nur
ein Provisorium, jedenfalls auf Seiten der deutschen Politiker. Dies sollte auch im Titel
deutlich werden. Grundgesetz und nicht Verfassung. Es spricht für die Kunst der Verfassungsväter und
Mütter, dass dieses Provisorium nun seinen 70. Jahrestag erreicht hat und das unter allgemeiner
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:33:23 Min
Aufnahmedatum
2019-05-23
Hochgeladen am
2019-05-27 10:42:34
Sprache
de-DE
Am 23.5.1949, also vor genau 70 Jahren, ist das Grundgesetz verkündet worden. Dies ist Anlass für einen Rückblick auf seine Frühzeit und seine Entwicklung, seine Wandlungen und seine Leistungen – kurz: eine Geburtstags-Laudatio.